Alfred Karasek (1902-1970) – Neue Biografie

Alfred Karasek war führender Wissenschaftler für Volkskunde der Deutschen des Ostens. Er war aber auch Deutschnationalist, Antislawist, frühes Mitglied der NSDAP, SS-Offizier und als solcher Kulturguträuber in Osteuropa bis auf die Krim und nach Stalingrad sowie als Angehöriger des Sicherheitsdienstes-Ausland des Reichsicherheitshauptamtes (RSHA) tätig. Er selbst sah sich sein Leben lang als (Feld-) Forscher und als Sammler von Quellen aus den „deutschen Sprachinseln des Ostens“.

In einer „neuen Biografie“, die ohne die Beschönigungen und Auslassungen seiner früheren Teilbiografien, Huldigungen zu runden Geburtstagen und Nachrufen auskommen soll, werden diese Verharmlosungen klarstellt und vorhandene Lücken gefüllt. Neben bereits Bekanntem werden bisher schwer beziehungsweise gar nicht zugängliche Quellen verwendet.

Alfred Karasek 1905
Alfred Karasek 1905

Leben

Alfred Karasek wurde 1902 in Brünn geboren und verbrachte seine Kindheit und Jugend im an der schlesisch-galizischen Grenze gelegenen Bielitz-Biala, wohin sein Vater als Bauleiter versetzt worden war. Nach der Matura absolvierte er in Brünn ein Studium zum Bauingenieur und den Wehrdienst in der tschechoslowakischen Armee, bevor er 1928 nach Wien übersie­delte, um dort Kunstgeschichte und Volkskunde zu studieren. Bereits ab Anfang der 1920er Jahre veröffentlichte er Aufsätze und unternahm gemeinsam mit seinen lebenslangen Freunden Walter Kuhn, Josef Lanz und Viktor Kauder[1] immer weiter nach Osten führende Reisen, die sich vor allem der Erforschung des Deutschtums, in seinem Fall von Sagen und Märchen in den deutschsprachigen Siedlungen widmeten. Die Geringschätzung alles „Polonisierten“ verstärkte sich während dieser Fahrten weiter.

Ab Mitte der 1920er-Jahre wurde Karasek von seinen Freunden und Kollegen als wissenschaftlicher Forscher und Publizist gesehen. Einen ersten großen sichtbaren Erfolg brachten 1926 die in der Fachöffentlichkeit viel beachteten Berichte über die Wolhynienfahrt.

Sein Antislawismus ließ ihn im deutschnationalen und bald im nationalsozialistischen Gedankengut aktiv werden und es nach außen hin vertreten, eine Haltung, die den Freundes­kreis der „Bielitzer in Wien“ prägte und dem auch mehrere akademisch gebildete Frauen ange­hörten.

Spätestens nach seiner Übersiedlung nach Wien knüpfte er an der Wiener Universität ein umfangreiches Netzwerk an Gleichgesinnten, war er einer der wesentlichen Handelnden, ohne sich dabei offen in den Vordergrund zu spielen. An der Universität Wien verstand er es, dem National(sozial)ismus nahestehende Lehrende wie Arthur Haberlandt, Hugo Hassinger, Josef Strzygowski, Karl Ginhart und weitere für sich als Mentoren zu gewinnen[2].

Zwischen 1928 und 1938 gab er gemeinsam mit der Germanistin Elfriede Strzygowski vier große Bände mit Sagen der Deutschen im Osten heraus.[3]

Der 1933 erfolgte Beitritt zur bereits illegalen österreichischen NSDAP, das Stipendium und dann die fixe Anstellung bei der hauptsächlich aus Deutschland finanzierten und an der Universität angesiedelten „Südostdeutschen Forschungsgemeinschaft (SODFG)“, die Mitbe­gründung der „Arbeitsgemeinschaft für Volkskunde“, die Tätigkeit als NS-Schulungsredner und Organisator von Veranstaltungen mit Nähe zur NSDAP und weiterhin als Forscher und Publizist geben davon Zeugnis. Zugleich war er immer mehr Sammler und Aufbereiter von Daten für die „Schaffung von Lebensraum im Osten“.

Mit der Annexion Österreichs wurden seine Tätigkeitsabschnitte zeitlich kürzer und die Nähe Karaseks zu den Verbrechen gegen die Menschlichkeit nahm zu. Dazu zählen 1938 die Teilnahme an der Besetzung der Tschechoslowakei als Freikorpskämpfer, eine erste nachrich­tendienstliche, gegen Polen gerichtete Tätigkeit, 1939/40 seine Funktion als offizieller Gebiets­bevollmächtigter im Diplomatenrang bei der Umsiedlung von Volksdeutschen aus Wolhynien und später aus Bessarabien „heim ins Reich“ im Rahmen des „Hitler-Stalin-Pakts“, der Raub von Kulturgut zur wissenschaftlichen Auswertung (Archive, Bibliotheken) im „SS-Sonderkom­mando Künsberg (SKK/EKK)“. Zuletzt war er als SS-Offizier im Auslandsnachrichtendienst des Reichsicherheits­hauptamtes (RSHA) aktiv an der Umsetzung der NS-Politik beteiligt. Seine enge Verbindung zu NS-Größen zeigt beispielsweise die von Heinrich Himmler auf Interven­tion Ernst Kaltenbrunners persönlich genehmigte Heirat mit Hertha Strzygowski (NSDAP-Mit­glied ab 1933), die zuvor vom Rasse- und Siedlungshauptamt abgelehnt worden war.

Der 1945/46 drohenden Lagerhaft im Zuge einer österreichischen Entnazifizierung entzog er sich durch Flucht nach Deutschland, wo er untertauchte und sich als Betonarbeiter betätigte. Parallel dazu sammelte er deutsches Erzählgut in Lagern Heimatvertriebener. Nach dem Wegfall der unmittelbaren Bedrohung wurde er ab 1949 als führender Funktionär von Vertriebenenorganisationen unter Nutzung seines wenig veränderten Netzwerkes sowie auch wieder als Forscher und Publizist tätig. Seine „Sammlung Karasek“ stellte er für die weitere wissenschaftliche Forschung zur Verfügung, die Publikationen anderer Wissenschaftler geben Zeugnis davon. In den 1960er-Jahren hatte er wieder Kontakte mit slawischen Forschern und Institutionen aufgenommen und sah sich als Vermittler zwischen den Kulturen. In den letzten Jahren seines Lebens zog er sich immer mehr zurück und widmete sich der Krippenforschung.

Alfred Karasek als Betonarbeiter 1947
Alfred Karasek als Betonarbeiter 1947

Der 1945/46 drohenden Lagerhaft im Zuge einer österreichischen Entnazifizierung ent­zog sich Karasek durch Flucht nach Deutschland, wo er untertauchte und sich als Betonarbeiter betätigte. Trotzdem war er in mehreren Auffanglagern Heimatvertriebener aktiv und zeichnete tausende Sagen (Erzählgut) auf, die heute in seinem Nachlass im IVDE[4] in Freiburg aufbewahrt werden. Nach dem Wegfall der unmittelbaren Bedrohung wurde er ab 1949 führender Funkti­onär von Vertriebenenorganisationen unter Nutzung seines wenig veränderten Netzwerkes. Auch um sich mit den Erlösen finanziell über Wasser zu halten, publizierte er und hielt vor Vertriebenenorganisationen und auf völkerkund­lichen Fachtagungen zahlreiche Reden und Vorträge.

Seine „Sammlung Karasek“ stellte er für die wissenschaftliche Forschung zur Verfü­gung, die Publikationen anderer Wissenschaftler geben Zeugnis davon. In den 1960er-Jahren hatte er wieder Kontakte zu slawischen Forschern und Institutionen aufgenommen und sah sich als Vermittler zwischen den Kulturen. Mit der Verschlechterung seiner Gesundheit zog er sich in seinen letzten Lebensjahren immer mehr zurück und widmete sich der Krippenforschung, wo er wieder führend tätig wurde. Die Veröffentlichung seiner beiden Standard­werke zur Krippen­kunde in Böhmen, Mähren und Schlesien[5] erlebte er nicht mehr.

Geehrter Kriegsverbrecher?

Von den Umsiedlungen über den Raub von Kulturgütern bis zum Fall Margarethe (Be­setzung Ungarns 1944), Karaseks Teilnahme an der deutschen Besatzungs- und Genozidpolitik im Rahmen des Generalplans Ost und damit an NS-Kriegsverbrechen ist klar nachweisbar. Die Richtungsentscheidungen auf seinem Lebensweg hat Alfred Karasek selbst getroffen, gemeinsam mit seinen Volkskundlerkollegen war Alfred Karasek ein Zahnrad in diesem NS-Werk. Ob er seine eigene Teilhabe daran nach 1945 erkannt, diese vielleicht sogar bereut hat, kann nicht endgültig gesagt werden. Auf der Argumentationsline der (Heimat-) Vertriebenenpolitik wurde von ihm bis gegen Ende der 1950er-Jahre weiterhin ein starker Nationalismus vertreten. Trotz­dem erhielt er zahlreiche Ehrungen, beispielsweise den Georg-Dehio-Preis und das deutsche Bundesverdienstkreuz. Eine nationalsozialistische Wiederbetätigung im engeren Sinne ist zu verneinen.

Anmerkung
Wie im Buch wird auch hier zum Teil die Terminologie der jeweiligen Zeit verwendet. Der Autor distanziert sich ausdrücklich von jeder Art des Extremismus und vor allem vom Gedankengut des Nationalsozialismus.

Nachlass Karasek: Institut für Volkskunde der Deutschen des östlichen Europa (IVDE)

WJG

[1] Walter Kuhn (1903 – 1983) Volkskundler, Siedlungsforscher; Josef Lanz (1902 – 1982) Lehrer, Viktor Kauder (1899 – 1984) Verleger, Bibliothekar.

[2] Arthur Haberlandt (1889-1964) Volkskundler; Hugo Hassinger (1877-1952) Geograf; Josef Strzygowski (1862-1941) Kunsthistoriker; Karl Ginhart (1888-1971 Wien), Kunsthistoriker.

[3] Alfred Karasek / Elfriede Strzygowski, Ostschlesische Sagen und Schwänke für die Schule, Kattowitz 1928.
Alfred Karasek / Elfriede Strzygowski, Sagen der Beskidendeutschen, Plauen 1930.Alfred Karasek / Elfriede Strzygowski, Sagen der Deutschen in Galizien, Plauen 1932.Alfred Karasek / Elfriede Strzygowski, Sagen der Deutschen in Wolhynien und Polesien, Posen / Leipzig 1938.

[4] Nachlass Alfred Karasek, Institut für Volkskunde der Deutschen des östlichen Europa (IVDE) https://www.ivdebw.de/bibliothek_und_archive/nachlass_karasek (06.07.2023).

[5] Alfred Karasek / Josef Lanz, Hg., Krippenkunst in Böhmen und Mähren vom Frühbarock bis zur Gegenwart, Marburg 1974 und
    Alfred Karasek / Josef Lanz, Hg., Krippenkunst in Schlesien, Marburg 1981.